Also wirklich! Jetzt wirkt die Pandemie und deutet in ihren gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen einmal mehr auf die Krisen hin, die schon im Vorhinein bestanden. Die Symptome der Gegenwärtigkeit erfordern Handeln im Großen und Kleinen, Lösungsideen zu den vielgedachten Hindernissen, und Reflexivität. Es wird sowieso nicht einfacher, zur Perspektivübernahme einzuladen – wer die Empathie bisher nicht erlernt hat, wird es auch schwer im virtuellen Raum erkennen. (Und das sind nur individuelle Gedanken, verloren in der Komplexität der Welt, in der alles fließt.)
„Das Laub wirbelt über die vergebliche Straße.“
Das, was Wolfram Lotz mit seinen 2010 veröffentlichten „Einige Nachrichten an das All“ erkennt und Yves Hinrichs 2017 aufgreift, erscheint heute nicht weniger relevant: Jetzt passiert wieder eine Idee von Umbruch, vielleicht von außen bedingt, alles Ständische und Stehende könnte verdampfen, wenn der einflussgebende Teil des Apparates nicht so sehr am Alten festhalten würde. Nach wie vor werden Worte produziert, veröffentlicht, aufgesogen, reproduziert, ohne etwas zu sagen. Inhalte ziehen immer gleiche Kreise, die Komfortzonen bilden, die wenig nach außen und sich im Innen schwer zerrütten lassen. Es ist immer noch Zeitgeist, den Satz „Nur keine Leere aufkommen lassen“ durch den Raum hallen zu hören.
„Staub in der Falte einer schwarzen Ledercouch.“
Für „Einige Nachrichten an das All“ gibt der Titel schon alles Wesentliche zum Inhalt vor, der von mehr und weniger charismatischen Personen mit ihren verschiedenen Sozialisationen, Lebenskontexten, Träumen und Ängsten diskutiert wird – wie dem sogenannten Leiter des Fortgangs (Ldf) oder Kleist, um nur Einige zu nennen. Es geht darum, die eigene Rolle in der Welt zu erkennen und sich dazu irgendwie zu verhalten, aber um Himmels willen nicht gleichgültig zu sein.
„Unverständliche Lautsprecherdurchsagen.“
Die Erzählungen von der Chance, eine Nachricht in den Weltraum zu senden, bewegt 21 Jugendliche vor dem Licht großer Videoprojektionen, die durch die spiegelnde Wasseroberfläche noch viel mehr strahlt, inklusive Popmusik. Jenes inszenatorische Konglomerat, die Größe der Produktion, wirkt in Anbetracht des textgrundlagen-bedingten Scheiterns des gesamtgesellschaftlichen Vorhabens beinahe lächerlich, mindestens jedoch zynisch: Das Zusammenspiel aus Erwartungshaltung vor der großen Ansage (?), dem Ende oder Neuanfang (?), der Lösung (?), der allumfassenden Idee von Zeitgeist (?), der „Wahrheit“ (?) bleiben sowieso am Ende aus. Auf dem Weg dahin stehen die Einzelschicksale, die deutlich leiseren Dialoge im Kleinen dem Gruppengedanken, der lauten Energie der zappelnden Masse (nicht nur aufnahme-bedingt) schwach, zerbrechlich, annehmbar angreifbar gegenüber. Wechselseitig werden die großen und kleinen Worte zugeteilt, sodass nicht selten der Chor die vereinnahmenden Fußzeilen der Textgrundlage brüllt. Viel passiert mit Tatendrang, rhythmischen Bewegungen, einige Wenige handeln sogar. Es geht darum, sich nützlich zu machen, wie und für wen gilt es selbst zu entscheiden. Bis dahin rauscht der Regen.
„Alles kommt vor und – husch! – ist es wieder vorbei.“
Besonders bei diesem Drama wird spürbar, wie der Videostream am Theatergefühl zerrt: So träumen wir weiter von geöffneten Türen der Kulturinstitutionen, von den merklichen Bewegungen unseres/unserer Nebensitzenden während des Lachens oder der Erschütterung, dem Geruch von Spielfreude auf dem Podium, dem Bassdröhnen der vereinnahmenden Anlage, dem Lichtflackern, das auch bei geschlossenen Augen nicht übersehen werden kann und, wie beim jüngst gesehenen Stück, der Haptik des Wassers im Bühnenraum, von dem Hall des Applauses.
Claudia Helmert hat stets den mood, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. Dabei schadet es ja nicht, sich von allem Schönen berauschen zu lassen.