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Unterwegs auf den öffentlichen Bühnen Leipzigs

„TEMPUS WOW.“ Ein (Audio-)Walk durch ein Stück Geschichte


Als Neu-Leipziger kenne ich die Stadt nur durch unwissende Zuzieher-Augen. Mit der Geschichte Leipzigs habe ich mich vor meinem Umzug nur spärlich auseinandergesetzt, mir ging es primär um das Rauskommen aus meiner Heimatstadt und das Erleben von Kunst und Kultur. Durch die Pandemie verbringt ein am Theater arbeitender Mensch aktuell seine Zeit mit digitalen Stücken, schrägen Aufnahmen und Zoom-Workshops. Und auch wenn das große Freude bringen kann, freue ich mich doch über jede Bewegung, die sich außerhalb von Büro oder fernab vom PC befindet.

Am ersten warmen Tag im April machte sich das gesamte Team der Theaterpädagogik auf, um „TEMPUS-WOW. Die Tour der Möglichkeiten. We lift you up (Where you belong).“ – einen Audiowalk von Heike Geißler zu erleben. Der Audiowalk entstand auf Einladung des Performancekollektivs Gob Squad, die in der Residenz an ihrer neuen Produktion „1984: BACK to NO FUTURE“ arbeiten (Leipzig-Premiere: Juni 2021).

Mit einem Kaffee in der Hand und guter Laune im Gepäck, begannen wir die Stadt zu erkunden. Ich hoffte auf eine wärmende Geschichte, etwas, das uns die Zeit vertreiben und auf andere Gedanken bringen könnte. Jedoch wurde ich nach kürzester Zeit erschlagen. Mir wurde bewusst, dass mich die Geschichte so mitriss, dass ich alles andere ausblendete. Mit, wie wir anfangs annahmen, ausgedachten und scheinbar belanglosen Situationen auf dem Ohr, liefen wir durch kleine Gassen, grinsten uns freundlich an; die Luft war durchzogen mit dem Duft von Kirsch- und Apfelblüten. Und während wir uns wärmten, wurde mir langsam bewusst, wie betroffen wir eigentlich hätten trotten müssen.

Zwischen zwitschernden Spatzen taten sich uns Bilder von brennenden Synagogen auf und den Rauchschwaden, die sich über die Straßen legten, von Steuerbetrug, Plattenbauten, der ewigen Gentrifizierung, in Stein gemeißelter Harmonie, brechenden Herzen und platzenden Granaten. Schon so oft war ich beispielsweise im Johannapark unterwegs. Dass dieser Park eines, wenn nicht das einzige, tragische Vermächtnis der besagten Johanna ist, habe ich nicht gewusst. Schon so oft lief ich über den Simsonplatz und am Bundesverwaltungsgericht vorbei. Die Einschusslöcher an der Hauswand und die Kerben auf den Gehwegen sind mir davor jedoch noch nie aufgefallen.

Ich lernte im Laufen und hatte unheimlichen Spaß daran. Der Audiowalk zog mich aber auch in eine tiefe Trauer, versetzt mit Empathie und vereinzeltem Schmunzeln. Heike Geißler, eine deutschsprachige Schriftstellerin aus Sachsen, welche den Text schrieb und einlas, wollte schließlich nicht nur die Geschichte Leipzigs aufdröseln, sondern sie auch unterhaltsam verpacken und gestalten.
Wir hören von all diesen bedeutenden Personen und werden dazu aufgefordert uns selbst zu hinterfragen: „Wie viel ist von meinem politischen Engagement, das ich in der Vergangenheit an den Tag legte, heute noch übrig und habe ich schon etwas vollbracht, dass mich auch in die Geschichte eingehen lässt? Möchte ich das überhaupt?“

 

Solltet ihr ebenfalls Lust darauf haben, selbst zu einem/r „HandlungsgehilfIn“, wie der Audiowalk es so schön benennt, zu werden, dann ladet euch hier die kleine Reise durch Leipzig herunter.

 

Vielleicht wird euch ja so wie mir –   am Ende, vor dem Eingang des Bundesverwaltungsgerichts, auch ein kleiner Überraschungsbesuch abgestattet. Ob Frau Geißler die Möglichkeit dieser Überraschung mit Absicht so wählte, weiß ich bis heute nicht. Fakt ist jedoch, dass sie recht behielt: Euer Publikum wird kommen. Früher oder Später.


Miles Rolle ist das neue männliche Pendant zur weiblichen Besetzung des Theaterpädagogik-Teams. Der „Kleinkünstler“ und ehemalige Rettungsschwimmer möchte nun nicht mehr nur auf, sondern auch hinter der Bühne Wellen schlagen.