Am Anfang war das Chaos, war die Waffe, war der Mann. In dieser Aufzählung folgt Menschwerdung als Mannwerdung und Weltaneignung als Einverleibung. Erscheint das Behältnis – als Gegenstand zur Aufbewahrung von Materie – in diesem Duktus der Evolution quasi ahistorisch, quasi ahuman? Das Theaterstück „The Shape of Trouble to Come“, als „posthumanes Ritual“ vom FARN. collective inszeniert, setzt sich dieser Erzählung jedenfalls entschieden entgegen, indem es nach der ureigenen Geschichte des Behältnisses fragt: Wenn die materielle Historie mit dem Behältnis beginnt, kommt sie mit dem Wegwerfen der Behältnisse dann ebenso an ihr Ende? In dieser Version ist das Asservieren die Basis aller Anfänge und Abschlüsse, sind der Kulturbeutel und seine Samen urmenschlich. Der Hafer wächst in Spelzen, nackte Hände sammeln deren Körner und stecken sie in Körbe, in Gefäßen wird Essen zubereitet, sie nähren menschliche Körper, die selbst nur ein Aufbewahrungsort auf Zeit sind, die selbst Materie ausscheiden und produzieren, bis die Behältnisse zusammen mit ihren einstigen Benutzern schließlich selbst zu verwesenden Hohlräumen in der Erde werden. In der Moderne aber überleben einige Behältnisse ihre eigene materielle Historie: als quasi unsterblicher Plastikabfall landen sie über die Umwege von Müllansammlungen letztlich auf ewig (wieder) im Boden. Dort angekommen, schreiben die nur zäh zerfallenden Kunststoffe die Geschichte des Hier und Jetzt endlos fort. Oder wird unser Weggeworfenes irgendwann doch nur noch als Rest einer alten Zivilisation und ihrer materiellen Historie in die Geschichtsbücher eingehen?
Die Inszenierung wühlt in diesem Erdreich der Evolution und den Entwürfen ihrer Fortschreibung, bedient sich der materiellen Realität und mischt sie mit imaginärer, entwirft eine historische Transformation. Jede Transformation braucht einen Nährboden, braucht ein Behältnis, braucht eine Bühne:
Ausgestattet mit den in der Erde aufbewahrten Abfallkörpern – Computer, Ikeabeutel, Einkaufswagen – schaufeln die Akteure die optische Täuschung jener Grenze weg, die laut der Theoretikerin Donna Haraway die gesellschaftliche Realität von Science-Fiction trennen würde. Sodann taucht eine technologische Polis auf, die auf der Revolution der kleinsten sozialen Beziehungen beruht: die Haushalte sind hier Frauengemeinschaften, deren Einheiten nicht aus biologischen Abstammungen, sondern aus selbstgewählten Verwandtschaftsverhältnissen konstruiert sind. In diesen „Communities of Compost“ leben Hybridorganismen: widernatürliche Frauen, die Mensch und Insekt zugleich sind, deren stetige Selbsttransformationen mit ihren irritierenden, lustvollen engen Verkopplungen zwischen Mensch, Tier und Maschine eine neue oppositionelle Ontologie formieren.
Um die Plausibilität der Geschichte(n) der westlichen Zivilisation zu untergraben, muss man an ihren Anfang zurück: an die Feuerstelle, um die sich die Gemeinschaft versammelt, um dem Mann zuzuhören. Im Kosmos des Theaterstücks wird hierbei ein Mythensystem zur politischen Sprache erhoben, das über die Kommunikationsstrukturen von Flora und Fauna berichtet. Haben Sie beispielsweise schonmal über die Poesie von Kaiserpinguinen nachgedacht? Die posthumanen „Kritter“ und diese, ihre Erzählungen vom Vegetativen, bilden eine imaginäre Ressource für die Verschmelzung dessen mit allem menschlichem, allem natürlichen und kreatürlichen – Begriffe, die in der gesellschaftlichen Gegenwart bereits nicht mehr eindeutig voneinander zu trennen sind. Was bleibt dann also für die Zukunft zu tun?
Vielleicht braucht es neue Geschichten: Von der Überwindung und gleichzeitigen totalen Hinwendung zu einem Verständnis des Humanseins, für das die Erde den Menschen nicht braucht, der Mensch für seine Selbsterhaltung aber sehr wohl auf das Fortbestehen einer friedlichen Verwandtschaft mit der Natur angewiesen ist. Hieße Historie in diesem Sinne vielleicht geradezu nicht Geschichte zu schreiben, sondern aufzubewahren? Fragen Sie mich daher nicht, ob mir das Theaterstück gefallen hat. Fragen Sie sich selbst, welche Geschichte(n) sie im Behältnis ihres Gehirns sammeln wollen.
Clara Middendorff interessiert sich neuerdings brennend für die Sozialstrukturen von Ameisen. Außerdem versucht sie sich darin, die Welt durch die Augen eines Hybridorganismus zu begreifen.