Ich habe mich schon oft in einen roten Theatersessel fallen lassen, um mich von Bühnenbildern, Kostümen, Texten und Schauspielenden in andere Welten entführen zu lassen. Dass hinter dieser Magie so viel Organisation, Koordination und Zusammenarbeit verschiedener Köpfe steckt, war mir als Zuschauerin, die zurückgelehnt die Vorstellung genießt, oft gar nicht bewusst. Diese Erkenntnis gewann ich bei einer Führung, in der ich als Praktikantin der Theaterpädagogik zusammen mit einer Schulklasse einige Einblicke hinter der Bühne des Schauspiels sammeln durfte. Ich wurde durch versteckte Treppenhäuser und Gänge abseits des öffentlichen Bereichs geführt und entdeckte verschiedene Arbeitsbereiche des Theaters. Ein paar davon möchte ich hier teilen, was natürlich für euch Lesende keineswegs den Besuch einer Theaterführung ersetzt.
Start war die große Bühne. Wir hatten das Glück, dass das Bühnenbild für die Inszenierung „Das kalte Herz“ gerade aufgebaut war und Licht und Ton geprobt wurden. Selbst einmal inmitten dieses Settings zu stehen und auf die roten Sitze runter blicken zu können, ist ein ziemlich gutes Gefühl. Für einen kleinen Moment fühlte sich der Kindheitstraum meines dreizehnjährigen Ichs Schauspielerin zu werden, ganz nah an.
Vor allem aber lohnt sich ein Blick nach oben in den 25 Meter hohen Bühnenturm, der dazu dient, Teile des Bühnenbilds zu verstecken, welche dann im Laufe der Vorstellung runter- und wieder hochgefahren werden können.
Große Bausteine des Bühnenbilds wie Bäume oder unechter Rasenboden, der die gesamte Bühne bedeckt, werden nicht im Schauspielhaus, sondern in den Theaterwerkstätten angefertigt. Auch das Licht dient dazu, aus dem Gummi in Rasenoptik und den Bäumen einen verwunschenen Märchenwald zu schaffen. Die Vielfalt an unterschiedlichen Farben und Intensitäten des Bühnenlichts führt zu endlosen Möglichkeiten, die gewünschte Atmosphäre zu vermitteln. So entstehen auf der Bühne märchenhafte Nebellandschaften und einsame Waldlichtungen. Genauso wie die SchauspielerInnen ihre Auftritte üben müssen, werden auch Licht und Ton geprobt. Die Licht- und TonmeisterInnen speichern dann in richtiger Reihenfolge gewünschte Licht- und Toneinstellungen ab, ein digitales Skript sozusagen. Wenn beispielsweise ein Gewitter auf der Bühne einsetzten soll, bekommen die Verantwortlichen ein Lichtzeichen, das Signal für Gewittergeräusch und Blitzlicht. Dieses Lichtzeichen kommt vom Inspizienten, eine Person, die aus dem Theater nicht wegzudenken ist, da sie den künstlerischen und technischen Ablauf einer Aufführung von vorne bis hinten koordiniert. Wie man da den Überblick behalten kann, ist mir ein Rätsel.
Zum Ende zeigt uns Mike, der Bühneninspektor, noch den eisernen Vorhang. Eine schwarze, massive Metallplatte, die wie eine Wand den Zuschauerraum und das Publikum voneinander trennen kann. Er hat keineswegs ästhetische Hintergründe, sondern ist tatsächlich auf einen großen Brand im Wiener Ringtheater 1881 zurückzuführen, welcher weltweit zu neuen Sicherheitsmaßnahmen an Theatern geführt hat.
Nachdem wir auf, neben und vor der Bühne einige Eindrücke gesammelt haben, führt uns Babette noch tiefer in die versteckten Gänge des Theaters, bis wir im Büro der Requisite landen. Dort zeigt uns Steffen einen Eimer mit blutigen Armen und Innereien, Blumenbouquets und andere Dinge, die aus der Nähe nicht real wirken, von Weitem aber echt erscheinen und maßgeblich für die Inszenierungen sind. Auch stoßen wir in der Requisite auf ein großes Buffet mit Käseplatten, Steaks, Kartoffeln, Hummer und verschiedenen Eissorten. Bedauerlicherweise müssen wir feststellen, dass das Festmahl nicht zum Verzehr geeignet ist.
In der Maskenbildnerei dürfen wir beobachten, wie eine Nase für Tilo Krügel angefertigt wird, der in „Das kalte Herz“ als Glasmännlein zu sehen ist. Wir erfahren auch, dass die Maske im Theater oft von Nahen sehr auffällig, fast übertrieben wirkt, damit sie für die Zuschauenden aus der Ferne ausdrucksstark ist. Zum Abschluss werfen wir noch einen Blick in den Malsaal, wo wir unterschiedliche Stoffe und Materialien anfassen dürfen und schrille glänzende Blazer mit bunten Spielzeugen beklebt werden – Kostüme für die Inszenierung „Für meinen Bruder“.
An dieser Stelle neigt sich die Führung dem Ende. Mein Kopf ist voller toller Eindrücke, die verarbeitet und gespeichert werden müssen. Was aber definitiv bei mir angekommen ist: Hinter einer Inszenierung stecken super viele kreative Köpfe und Organisationstalente, die gemeinsam am gleichen Projekt feilen, schleifen, werkeln und letztendlich das auf die Bühne bringen, was mich animiert, mich in den roten Samtstuhl fallen zu lassen, um begeistert die Vorstellung zu genießen und zu vergessen, wie viel Arbeit eigentlich hinter dem Gezeigten steckt.
Charlotte Stobbe (sie/ihr) macht gerade ein Praktikum in der Theaterpädagogik des Schauspielhauses und genießt ausgiebig die Leipziger Theaterluft,
bevor sie vorerst zurück in ihre Heimat Berlin zieht.