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Drehtür des Lebens – Gefangen in der Racheschleife

Der Geruch von Regen verweilt draußen, während sich im Rangfoyer des Schauspiel Leipzig das Kulturgemurmel vor dem Hinterbühnenirrgang einstellt. Der Weg zu den dunkelfarbenen Sitzbänken liegt im Taschenlampenlicht, das sich vom hellblauen Schein des antik anmutenden, flachdimensionalen Bühnenbildes ablösen lässt. Die farbvolle Kulisse formt den Rahmen der Racheoper „vendetta vendetta“, deren eindringlich bisweilen hymnisch repetiert wird. Thomas Köcks Singsang sind „stories of damaged corpses“ und verhandeln die ganz großen Themen: Die Handlungsloops der trägen Mittelschicht, die sich in Selbstfindung und Schuldzuschreibungen verstrickt, den kollektiven Konsens zu Recht und Gerechtigkeit in Zeiten des Versteckspiels im World Wide Web und die darin verhallende Kakophonie von Gewaltträumen. Zwischen allem Aufbrausen raucht eine mit der Aufschrift „Ordnungsamt“ bemützte Person in der Bühnenmitte und stützt sich behäbig auf ihr Krücken-Gewehr-Konglomerat.

 

There hits another neurone

Gebrochen vom Auf und Ab der mediterran bemalten Vorhänge lässt das Schauspiel auf der Drehbühne zwischen Banner und Breamerprojektionsflackern keine Ruhe aufkommen. Vor den flachdimensionalen Fantasien beeindruckt der Moment, in dem die Blickrichtung von Darstellenden und Zuschauenden dem rechten Bühnenrand verfällt: Das warme Leuchten der verheißungsvollen Buchstabenfolge „I Want Action“ verfärbt den Raum (Licht: Jörn Langkabel).

Der beinahe synchrone Gesang des neunköpfigen Chors (Einstudierung: Thomas Köck und Andreas Spechtl) umrahmt das Schauspiel der drei Protagonist:innen als munkelnde Mythen und erzählende Handlungstreibende: Von der Rolle über menschliche Fehlbarkeiten zeigt sich dabei Amal Keller, die in ihrem anhaltend dynamischen Spiel besonders präsent und fokussiert vereinnahmt. Auch Dirk Lange und Denis Petković funkeln bedächtig und klar, genauso wie in gespanntem Reflexionsvermögen und wohlgewählten Timing für die kleinen Pointen zwischendurch. Ihnen gegenüber prunkt der Chor aus überzeichneten, karikierenden Maskengesichtern mit opulenten, dunklen Gewändern aus weit ausgestellten Röcken. Später bebildern bunte Kleidung die Sänger:innen, deren Looks mehr an Alltag erinnern könnten, würden nicht Waffen grotesk aus deren Ärmeln baumeln. Auch wenn die beeindruckende Wirkung ihrer Kostüme (Martin Miotk) als Pose der Empörung vor dem farbvollen Hintergrund ausreicht, artikulieren sich die Neun in abgestimmt großen Gesten. Dabei referenziert sich Bühnen- und Kostümdesigner Martin Miotk selbst wenn im Hintergrund ein willkürlich wirkender Bildschirmhintergrund aufflimmert: Ordner und Dateien, die zu Grafiken, Fotos und Inspirationen der gezeigten Inszenierung gehören und seine Stücke „Lasst uns anmutig bleiben“ oder den jüngst veröffentlichten Film „Ostravaganza“ dokumentieren.

 

Aufmerksamkeitsattentäter – viel Fluchen um die Gegenwart

Das Finale des stetigen Opferreigens führen die Rachegelüste der vergangenen und kommenden zweitausend Jahre für und durch die Gesellschaft vor. Die wabernden Musikproduktionen Andreas Spechtls, der sonst unter anderen als Teil der Gruppe „Ja, Panik“ musiziert, umspielen den Sturz durch die vierte Wand: „Opfert Euch doch selbst!“ Beeindruckend mitleidig klagen die Mythendarsteller:innen den Chor der Gleichschaltung an. Jener dient als Referenz für die träge Mittelschicht, als pseudoenttäuschte, durchindividualisierte Einzeltäter, die bloßgestellt auf der Drehbühne - gleichsam als Präsentierteller - rotiert. Keiner übernimmt die offene Rechnung der Ökonomie des Miteinanders. Die kritisierte Folgenlosigkeit ist das Ende vom Lied – „Happy Scheiß.“

 

Das große Ganze bleibt fadenscheinig, aber leuchtet schön. Thomas Köcks rhythmisches Worteflackern als Auftragswerk vom Schauspiel Leipzig, „vendetta vendetta (a bunch of opfersongs)“ verzaubert in Kurzweiligkeit, parodiert das Pathos, die großen Erzählungen repetitiver Rache, deren Bann jedoch ungebrochen bleibt.

Die nächsten Aufführungstermine von "vendetta vendetta. (a bunch of opfersongs)" sind:

 

Mi, 18.05. 19:30 — 20:55

Hinterbühne

Do, 19.05. 19:30 — 20:55

Hinterbühne

So, 12.06. 19:30 — 20:00

Hinterbühne


Claudia Helmert bemüht sich stets um den mood, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. Dabei schadet es ja nicht, sich von allem Schönen berauschen zu lassen.