Medea, die Heldin der griechischen Tragödie von Euripides, die Asiatin, die ‚Barbarin‘ aus Kolchis, die Zauberin, hat ihre Heimat verlassen, um mit dem griechischen Krieger Jason zusammen zu leben. Sie kommt in der zivilisierten Gesellschaft Griechenlands, Korinth, an und wird von allen verraten. Diese verliebte Frau wird von Eifersucht und Rachegefühlen überwältigt und sie ist gezwungen zu ihren primitiven Instinkten zurückzukehren. Sie wird wieder töten, so wie sie, laut Mythos, ihren Bruder tötete und seine Körperteile ins Meer warf, damit sie mit Jason fliehen konnten, nachdem er das Goldene Vlies genommen hat.
Ihre brutale Natur macht Medea verrückt vor passio (Latein, das Wort bedeutet, dass jemandem etwas zustößt und er das passive Opfer ist). Wenn alle Werte, Worte, Gefühle und Träume versagen, erscheint Rache als die logische Konsequenz: „[I]ch weiß, welches Übel ich im Begriff bin zu tun, aber der Zorn ist stärker als meine Pläne, er ist die Ursache der größten Sünden der Menschen“. Sie ermordet ihre beiden Kinder und die zukünftige Frau Jasons (Kreoussa) und ihren Vater, Kreon. Indem sie ihre Kinder tötet, verdammt sie sich selbst zu ewigem Elend.
Am Schauspiel Leipzig inszeniert Markus Bothe „Medea“ ohne viele Requisiten und ‚Schnickschnack‘ und das funktioniert sehr gut. Er gibt dem Publikum vor allem die Möglichkeit, den Text von Euripides’ Tragödie zu hören, sodass die Zuschauer*innen nicht nur oberflächlich Bildern auf der Bühne zuschauen. Die Schauspieler*innen stehen meistens statisch und in einem gewissen Abstand zueinander und sie geben beim Sprechen der Schönheit der Worte Raum sich zu entfalten.
Der Trumpf dieser Aufführung ist die Protagonistin Anne Cathrin Buhtz. Der Regisseur führt sie mit der richtigen Dosierung in ein ‚inneres‘ Schauspiel. Ihre Ausbrüche sind nicht übertrieben, sie färbt ihre Emotionen überzeugend mit ihrer Stimme, sie leidet still, mit Tränen in den Augen, sie zittert. Oft spielt sie mit dem Rücken zu den anderen Schauspieler*innen oder starrt ins Publikum, während des Gesprächs mit dem König von Athen, Aigeus, der ihr Asyl anbietet – der Regisseur nutzt dabei viele mögliche Positionen auf der Bühne.
Medea trägt ein leichtes rückenfreies Kleid, das wegen des Wassers auf der Bühne allmählich nass wird. Das Wasser als Element auf dem Bühnenboden in der Darstellung von „Medea“ scheint vielen Regisseur*innen zu gefallen. In anderen Inszenierungen wie beispielweise „Medea“ (1994-2000) und „Medea 2" (2008-2009) von Dimitris Papaioannou aus Griechenland wurde Wasser als Element auf der Bühne ebenfalls gesetzt. Diese „Medea" im Schauspiel Leipzig steht auf einer wassergefluteten Bühne, verbannt von der Stadt Korinth. Die Stadt ist als geschlossene Festung dargestellt, in Form eines rechteckigen, drehbaren Kastens mit Glasscheiben, in dem wir den König Kreon mit seinen drei Trabanten, seiner Tochter und Jason sehen. Medea bleibt draußen, im Halbdunkel, eine Frau, eine Fremde, eine Hexe, während die anderen im Licht stehen. Alle sind in bedeckte Kleidungen gehüllt, außer die zum Exil gezwungene Asiatin, die in einem Kleid mit Tiraden in der Kälte und im Wasser steht. Die Kostüme dieser Aufführung passen scheinbar nicht zueinander und wirken dadurch nicht ganz stimmig.
Markus Bothe stellt zu Beginn des Stücks die Kinder von Medea und Jason vor, die mit einem Papierboot (Symbol des Schiffes Argo von Jason), im Wasser spielen. In Euripides’ Tragödie hingegen erscheinen die Kinder nie. Der Regisseur nutzt erfolgreich diese Änderung, damit das Publikum mehr Informationen über die ‚Argonautische Expedition‘ erfahren kann. Die Kinder treten auf der Bühne nochmals auf, nachdem Medea sie umgebracht hat. Der Regisseur entscheidet sich für einen zeitgemäßen Spielstil des Jason (Denis Petković), dem es meiner Meinung nach in bestimmten Momenten an Ausdruckskraft mangelt. Der Dialog zwischen Jason und Medea ist ebenfalls als modernen Paarstreit inszeniert. Kreon erscheint mit den drei Trabanten, die im Text von Euripides nicht vorkommen. Hier werden sie als posierende Modelle, wütende Hunde und oberflächliche Männer dargestellt, denen nach Macht und Terror dürstet – manchmal sprechen sie in einem chorischen Stil. Ein Chor in der klassischen Form einer Gruppe existiert nicht bei dieser Aufführung, jedoch übernimmt jedes Mal eine der zwei Schauspieler*innen die Rolle des Chores (Sonja Isemer als Amme/Chor und Ellen Hellwig als Bote/Chor). Die Tatsache, dass eine Schauspielerin zwei Rollen spielt, könnte das Publikum ein wenig verwirren, wenn man es aus der Tragödie von Euripides nicht schon kennt.
Die Beleuchtung ist besonders stimmig und kreiert eine schöne Ästhetik. Ein eindrucksvoller Moment, der den Körper der Protagonistin visuell definiert hervorhebt, ist, wenn das Licht den Schatten ihrer Silhouette wie eine Statue in den Türen des Theaters erscheinen lässt.
„Medea“ ist in der Spielzeit 2023/24 wieder auf der Großen Bühne zu sehen.
Dimi ist Teilnehmer*in des Scenen::Notiz Kollektivs in der Spielzeit 2022/23.
SCENEN::NOTIZ ist ein Projekt des Schauspiel Leipzig in Kooperation mit der Jugendpresse Sachsen e.V..
Es richtet sich an alle theaterinteressierten Menschen, die ihre Gedanken zu den Inszenierungen in Form von Kritiken festhalten möchten. Im Anschluss an einen kostenfreien Theaterbesuch tauschen sich die Teilnehmer*innen über das Gesehene, sowie die dazu entstanden Texte, gemeinsam mit dem Team der Theaterpädagogik und einer Vertreter*in der Jugendpresse aus. Die fertigen Texte werden dann hier auf dem hauseigenen Blog veröffentlicht!