Die lieben Tanten! In dem 1940er-Jahre Klassiker „Arsen und Spitzenhäubchen“ finden wir uns in dem scheinbar beschaulichen Leben der zwei alten, etwas kauzigen Schwestern Abby und Martha Brewster wieder, die in einer alten Villa im New Yorker Stadtteil Brooklyn leben. Zu jedem sind sie freundlich, zu Pfarrer und Polizeikommissar, jeder muss auf ihrem viktorianischen Mobiliar Platz nehmen, einen Tee und in besonderen Fällen einen Schluck ihres selbstgebrauten Holunderweins genießen. Neffe Teddy, der fest davon überzeugt ist, Präsident Roosevelt zu sein und mit voller Hingabe den Panama-Kanal im Keller aushebt, wird trotz seiner Irrheit von seinen Tanten liebevoll umsorgt, während ihr anderer Neffe Mortimer, der pragmatische Chronist der Familie, als Stimme der Vernunft in ihrem Leben eine Rolle zu spielen versucht. Doch was zunächst wie eine harmlose Geschichte über eine etwas exzentrische Familie daherkommt, beginnt endgültig zu bröckeln, als ihr dritter, verschollener Neffe Jonathan, ein gesuchter Serienmörder, samt Komplize Dr. Einstein und einer noch warmen Leiche im Gepäck aufkreuzt. Schnell wird klar, dass in dieser Familie nicht alles so ist, wie es scheint.
Zwischen verrückten Ideen, kuriosen Ereignissen und einer Reihe überraschender Wendungen entwickelt sich eine schwarzhumorige Erzählung. Die alte Villa, in der die Handlung spielt, scheint nicht nur Ort des Geschehens, sondern auch Zeuge unzähliger, über Generationen gesammelter Geheimnisse, Verbrechen und Sonderbarkeiten zu sein. Das alles offenbart die Inszenierung dem Betrachter eher amüsant beiläufig, statt als Gruselschocker.
Der Humor ist von Anfang an klar und bissig – ein Humor, der sich nie zu ernst nimmt, aber trotzdem die verrückte Realität der Figuren nicht leugnet. Besonders die beiden Tanten, gespielt von Anne Cathrin Buhtz und Bettina Schmidt, mit ihren schrulligen Persönlichkeiten, sind wahre Meisterinnen der Komik. Ihre verschrobenen Eigenheiten fügen sich perfekt zu dem Bild der chaotischen Familie zusammen, die sich in ihrem eigenen Wahnsinn wohlzufühlen scheint und in der die Moral ihre ganz eigenen Regeln hat. Mord kann eine Wohltat sein, aber moralisch verwerflich ist, wer auch nur ein bisschen flunkert.
Mortimers Verlobte Elaine, als starker weiblicher Charakter des Stücks, bringt eine willkommene Lebendigkeit in das Geschehen. Ihre Abenteuerlust bildet einen gelungenen Kontrast zu den frömmelnden Tanten und dem düsteren Grundton der Geschichte. Die beiden Bösewichte Jonathan und Dr. Einstein haben demgegenüber unheimliche, fast cartoonhafte Züge und sorgen für die richtige Portion düsteren Witz und Abgründigkeit.
Die Inszenierung lebt von einem ständigen Wechsel zwischen Slapstick und schlagfertigen Dialogen. Dieser Mix lässt eine leichtfüßige Komödie entstehen, die weder flach noch langweilig ist. Die atmosphärische Musik, die teils halsbrecherischen Stunts sowie die fast schon choreographische Körperlichkeit der Figuren verleihen dem Ganzen eine zusätzliche Leichtigkeit, die den amerikanischen Grundcharakter des Stückes durchleuchten lässt.
„Arsen und Spitzenhäubchen“ fragt nach Wahrheit und Lüge, nach Moral und Amoral – aber immer mit einem Augenzwinkern und indem diese Konzepte einer milden Lächerlichkeit preisgegeben werden. Auch wenn die Inszenierung kleine Längen hatte, legt sie ein ordentliches Tempo vor, das anhält, um am Ball zu bleiben.
Tina Lanik schafft hier einen unterhaltsamen Abend, der durch Leichtigkeit und schwarzen Humor besticht. Sie bietet für jeden etwas – für die Fans des Slapsticks ebenso wie für diejenigen, die den subtilen, bissigen Humor zu schätzen wissen. Ein rundum gelungenes Stück, das nicht nur zum Lachen einlädt, sondern auch zeigt, wie leicht selbst die fundamentalsten Regeln der Moral auf den Kopf gestellt werden können.
Lilith ist Teilnehmer*in des SCENEN::NOTIZ Kollektivs in der Spielzeit 2024/25.
SCENEN::NOTIZ ist ein Projekt des Schauspiel Leipzig in Kooperation mit der Jugendpresse Sachsen e.V..
Es richtet sich an alle theaterinteressierten Menschen, die ihre Gedanken zu den Inszenierungen in Form von Kritiken und Rezensionen festhalten möchten. Im Anschluss an einen kostenfreien Theaterbesuch tauschen sich die Teilnehmer*innen über das Gesehene, sowie die dazu entstanden Texte, gemeinsam mit dem Team der Theaterpädagogik und einer Vertreter*in der Jugendpresse aus. Die fertigen Texte werden dann hier auf dem hauseigenen Blog veröffentlicht!
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